smartform® – enorme Potenziale zur Kostenreduzierung komplexer Bauteile
15.06.2020 I Güllü Beydilli
Allein in Europa laufen pro Jahr mehr als 20 Millionen Fahrzeuge von den Fertigungsbändern, weltweit sogar knapp 100 Millionen. Klar ist: Bei solchen Stückzahlen erzeugen schon kleine Einsparungen gewaltige Effekte. thyssenkrupp Steel hat ein innovatives Verfahren zur Serienreife gebracht, das bei der Herstellung von höchstfesten Kaltumformteilen enorme Einsparungen ermöglicht.
Der smartform® genannte, zweistufige Tiefziehprozess bietet aber noch weitere Vorteile: Er reduziert den Rohmaterialbedarf im Schnitt um bis zu 15 Prozent, verbessert die Qualität und verringert zudem auch den Nachbearbeitungs- und Wartungsaufwand. Pro angefertigtem Bauteil lassen sich so zwischen 10 und 15 Prozent an Kosten sparen.
Kaufmännischer Projektleiter Lars Bode: „smartform® spielt seine Vorteile bei U bzw. l-förmigen Bauteilen aus, die im Automobil an 60 Stellen zum Einsatz kommen. Typische Anwendungen sind Seitenschweller, A- und B-Säulen, Längs- und Querträger sowie Sitz,- Scheiben- und Dachstreben.“ Über 90 Prozent der weltweit gefertigten Rohkarosserien werden aus Stahl hergestellt, gleichzeitig steigt der Einsatz höchstfester Qualitäten bei den genannten Bauteilen beständig. Das Potenzial ist enorm, denn durch smartform® könnten weltweit viele Bauteile günstiger hergestellt werden.
Sparen an allen Ecken: Die smartform®-Technologie im Detail
Im Gegensatz zum konventionellen Tiefziehverfahren, bei dem die grundsätzliche Geometrie eines Bauteils per Tiefziehen und weiteren Nachformoperationen entsteht, setzt smartform® auf einen zweistufigen Prozess. Im ersten Schritt entsteht dabei lediglich eine grob an die speziellen smartform®-Bedürfnisse angepasste Vorform. Im zweiten Umformschritt wird das Werkstück auf seine Endform gebracht. Lars Bode: „Auf den ersten Blick sieht das nach Mehraufwand aus. In der Praxis haben wir aber mehrere Vorteile: Beim konventionellen Tiefziehen müssen wir die Rückfederung höchstfester Stähle mit einer hohen Ausstreckung begegnen. Dafür brauchen wir Stahlblechrohlinge mit Ziehrand – also einer Materialzugabe an den Rändern des Bauteils, an denen es während des Pressvorgangs gehalten wird. Dieses Material entfällt bei smartform®.“
Deutlich weniger Verschnitt: mehr Bauteile aus einem Coil
smartform® ermöglicht erstmals die Nutzung einer Platine ohne Ziehrand und somit die größtmögliche Reduzierung des Verschnitts. In Zahlen sieht das so aus: Aus einem handelsüblichen 25-Tonnen-Coil lassen sich signifikant mehr Bauteile herstellen – am Beispiel eines typischen Längsträgers 5.540 statt bisher 4.870 Endprodukte. Ein weiterer Vorteil: Abhängig von der Belastung und dem geforderten Crashverhalten kann im Einzelfall ein um etwa fünf Prozent dünneres Ausgangsblech eingesetzt werden.
Für Kunden ist smartform® im Vorfeld auch über Augmented Reality simulierbar:
Weil das Endprodukt bereits vollständig oder sehr weitgehend der gewünschten Form entspricht, reduziert sich auch der Nachbearbeitungsaufwand erheblich. Das Beschneiden der Ziehränder entfällt vollständig, die sonst erforderlichen Nachformschritte zur Kompensierung des Nachfedereffekts entfallen ebenfalls. Daher reduziert sich der Randbeschnitt am final umgeformten Bauteil auf ein Minimum.
Interessant vor allem für komplexe Bauteile
Das ist aber noch nicht alles: Weitere Kostenoptimierungen ergeben sich beim Werkzeugdesign und -aufbau sowie beim Serienanlauf – weil sich die Optimierungszyklen bis um den Faktor sechs gegenüber herkömmlichen Verfahren reduzieren lassen. Selbst die Umstellung einer bereits bestehenden Fertigungslinie auf smartform® kann sich – vor allem bei Bauteilen, die unter Maßhaltigkeitsaspekten problematisch sind – rechnen.
Rund um die smartform®-Technologie offeriert thyssenkrupp Steel für Fahrzeughersteller ein komplettes Dienstleistungspaket: Neben der Potenzialanalyse im konkreten Anwendungsfall gehören dazu auch die vertiefte Betrachtung aussichtsreicher Bauteile und damit einhergehend die Entwicklung eines konkreten Umformprozesses sowie die Prozesserprobung. Veranschaulicht werden diese Prozesse zum Beispiel auch via Augmented Reality. Per Tablet tragen die Entwicklungsingenieure die tonnenschwere Presse dabei virtuell zum Kunden, um das Zusammenspiel von Werkzeug und Bauteil dreidimensional zu veranschaulichen. Der Clou: Der Kunde kann sich die Umformung und das Wirkprinzip zwischen Werkstoff und Werkzeug detailgetreu und aus unterschiedlichen Perspektiven in 3D betrachten. Am Ende steht beim Kunden eine serienfähige, prozessstabile Bauteilherstellung zu deutlich reduzierten Kosten.