Rohstoff CO2
Klimagas soll Autos antreiben
thyssenkrupp bringt die erste branchenübergreifende Initiative zur Nutzung von Kohlendioxid aus Hüttengasen auf den Weg. Ihr Ziel ist es, Stahl in Zukunft nahezu ohne CO2-Emissionen zu produzieren und Hüttengase als Ausgangsstoff für die Chemieproduktion zu nutzen. Das Projekt PLANCK leistet nicht nur einen Beitrag zum Klimaschutz, sondern auch zum Gelingen der Energiewende.
Kohlendioxid hat ein miserables Image. In großen Mengen in die Atmosphäre entlassen, heizt das Treibhausgas die Erderwärmung an und wird zum Klimakiller. Allein aus Deutschlands Industrieschloten, Autos und Haushalten steigen jedes Jahr rund 900 Millionen Tonnen CO2 auf. Dennoch ist Kohlendioxid keineswegs nur ein übler Klimaschädling – das Gas kann auch als wertvoller Rohstoff für die Chemieindustrie nützlich sein.
Die Idee zu dem Projekt kam thyssenkrupp-Technologiechef Reinhold Achatz bei einem Vortrag. Seine Kollegen von thyssenkrupp Process Technologies hatten die grundsätzliche Möglichkeit vorgestellt, Ammoniak und Methanol aus Hüttengasen zu synthetisieren – aus Ammoniak entstehen Düngemittel, Methanol wird unter anderem für die Produktion von Kraftstoffen eingesetzt. Heute nutzt die Chemieindustrie dafür Erdgas als Rohstoff. Ein Teil des für die Synthese benötigten Wasserstoffs ist in den Hüttengasen bereits enthalten. Damit wird der Verbrauch des knappen Energieträgers Erdgas verringert, die CO2-Emission reduziert und das Netz stabilisiert. Ziel des Forschungsvorhabens ist es, Technologien zu entwickeln, die dies wirtschaftlich umsetzbar machen.
Aus der unkonventionellen Idee wurden nach Vorarbeiten mit dem Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion (MPI CEC) die Inhalte des Projekts PLANCK definiert. In der „Plattform für Nachhaltige Chemische Konversion“ arbeitet thyssenkrupp seit Dezember 2013 mit Partnern aus Industrie und Forschung zusammen, die seitdem den ersten industrieübergreifenden Ansatz zur CO2-Nutzung für die Chemieproduktion vorantreiben. Der Kerngedanke: Eine branchenübergreifende Lösung mit Bayer, BASF, Siemens und RWE an Bord verspricht bessere Ergebnisse als die bislang verfolgten isolierten Bemühungen zur CO2-Reduktion. Wenn das auf zehn Jahre angelegte Technologietransfer-Projekt ein Erfolg wird, verzahnen die Schlüsselindustrien Stahl, Chemie und Energie künftig ihre Wertschöpfungsketten – und können so gemeinsam wertvolle Rohstoffe einsparen und CO2-Emissionen vermeiden.
„Die Erfolgsaussichten sind gut“, sagt der Projektverantwortliche Markus Oles. „Denn die grundlegenden chemischen Abläufe und die benötigten Technologien sind weitestgehend bekannt.“ Dennoch ist das Ziel ehrgeizig: Stahlwerke sollen durch PLANCK eines Tages nahezu vollständig ohne klimaschädliche CO2-Emissionen produzieren. Bis es soweit ist, haben die Forscher und Entwickler allerdings noch einige Herausforderungen zu bewältigen. So muss etwa das Hüttengas zunächst gereinigt und aufbereitet werden – eine Forschungsaufgabe, an der das MPI CEC und das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht) arbeiten.
Die größte Herausforderung kommt jedoch vom Kohlendioxid selbst: CO2 ist chemisch äußerst träge. Darum benötigen die Chemiker Katalysatoren, wenn das Gas mit anderen Stoffen zu neuen Verbindungen wie Methanol oder Methan reagieren soll – und eine große Menge Energie. Die Katalysatoren ermöglichen die chemische Reaktion, indem sie die dafür unverzichtbare Aktivierungsenergie verringern, ohne selbst verbraucht zu werden. Das MPI CEC entwickelt spezielle Katalysatoren, die flexibel auf das stark schwankende Öko-Strom-Angebot reagieren können.
Denn ohne elektrische Energie kann PLANCK sein ehrgeiziges Ziel nicht erreichen. „Will man das im Hüttengas enthaltene CO2 vollständig umwandeln, geht das nicht ohne zusätzlichen Wasserstoff“, erläutert Ralph Kleinschmidt, technischer Abteilungsleiter bei thyssenkrupp. Und der soll aus der Wasser-Elektrolyse mit Hilfe von Wind- und Sonnenstrom stammen, weshalb Siemens und das Zentrum für Brennstoffzellentechnik (ZBT) in Duisburg an neuen wirtschaftlichen Verfahren zur Herstellung des Gases arbeiten. Weil der Strom aus vollständig regenerativen Quellen stammt, bleibt die CO2-Bilanz von PLANCK makellos.
Außerdem können die Forscher so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Statt nicht benötigten Ökostrom in Wasserstoff zu verwandeln und später daraus wieder Strom zu produzieren, könnte die gesamte deutsche Überschussproduktion aus grünen Quellen im Idealfall direkt in die chemische Grundstoffproduktion fließen. Das ist das Ziel – und einer der großen Vorteile des Projekts. Denn wenn diese Netzoptimierung mithilfe des Projektpartners RWE gelingt, könnte PLANCK über eine Stabilisierung der Stromnetze zugleich einen erheblichen Beitrag zum Gelingen der Energiewende leisten.
Die Umwandlung von Hüttengasen in Kraftstoffe und Düngemittel mag heute noch wie ein ferner Traum erscheinen – doch die Entwickler wollen bereits 2015 erste Betriebserfahrungen im realen Hüttenumfeld sammeln. Zwei bis fünf Jahre lang soll dann getestet werden, wie sich die neu entwickelten Verfahren in der Praxis bewähren. Erste Pilot- und Testanlagen dürften in sieben Jahren an den Start gehen, und die kommerzielle Umsetzung mit einem Investitionsvolumen von mehr als einer Milliarde Euro ist ab 2022 geplant. Wird das Projekt ein Erfolg, könnte PLANCK über ein intelligentes Netzwerk aus Wertschöpfungsketten einen nachhaltigen Strukturwandel in Deutschlands Schlüsselindustrien einleiten. Das Projekt würde dann nicht nur zur CO2-Reduktion und Ressourcenschonung beitragen, sondern auch Arbeitsplätze sichern und den gesamten Industriestandort Deutschland nachhaltiger machen.