Next Level: Die Digitalisierung der Produktionsprozesse bei thyssenkrupp Steering
In einer zunehmend digitalisierten Welt werden die Kundenanforderungen auch in der Automobilindustrie immer größer. Präzise gesagt: Extrem herausfordernd.
„Ohne digitalisierte Produktionssysteme, automatische Datenerfassung oder die Analyse von Daten in der Cloud würden wir die steigenden Anforderungen unserer Kund:innen nicht erfüllen können“, ist Roland Kerbleder überzeugt. Der Wirtschaftsingenieur muss es wissen: Bereits seit 2013 verantwortet der Leiter Operations Excellence bei thyssenkrupp Steering die zunehmende Digitalisierung in der Produktion mithilfe eines leistungsstarken Manufacturing Execution Systems (MES) und von Cloud Services. Mit der konsequenten Digitalisierung sind die Lenkungsspezialist:innen schon früh in Richtung Zukunft abgebogen.
„Vor mehr als acht Jahren hat unser COO Patrick Vith den Grundstein für die Digitalisierung bei thyssenkrupp Steering gelegt“, verrät Roland Kerbleder. Die Digitalisierung der Produktion war also schon früh wesentlicher Bestandteil der Operations Strategie der Lenkungsexperten mit Hauptsitz in Eschen, Liechtenstein. In jahrelanger Detailarbeit zeichnete das verantwortliche Projektteam gemeinsam mit externen Dienstleister:innen Use Cases auf, schrieb Lastenhefte und Dokumentationen, definierte Prozesse und Workflows und entwickelte Algorithmen und Software-Programme. So entstand das „Digital Factory“-Konzept im Lenkungsgeschäft von thyssenkrupp.
Kontinuierliche Datenerfassung
Voraussetzung und zentraler Bestandteil der digitalisierten Produktionsprozesse ist das kontinuierliche Erfassen und Analysieren der wichtigsten Daten. Dazu wird jedes Teil mit einem Data Matrix Code gelabelt, sodass es eindeutig identifizierbar ist. Das Label begleitet das Produkt auf seinem gesamten Weg durch die Produktion bis zu den Kund:innen. Über das Label werden alle Produktionsdaten mitgegeben – entweder komplett automatisch direkt von den Produktionsanlagen oder manuell. Informationen beispielsweise über abgeschlossene Produktionsschritte oder montierte weitere Komponenten sowie bestimmte Messdaten werden automatisch an das „Manufacturing Execution System“ (MES) weitergegeben. Dabei handelt es sich um ein Produktionsmanagementsystem, das fortlaufend Informationen sammelt und die Produktionsprozesse in Echtzeit steuert und überwacht.
„Produktionsdaten haben wir natürlich schon immer aufgezeichnet“, so Roland Kerbleder. „Doch das geschah ohne MES eher auf isolierten Plattformen, für einzelne Maschinentypen oder gar per Excel, Access und Papier.“ Mit Hilfe des MES werden die zum Produkt gesammelten Daten zeitnah in eine Cloud gesendet und dort gespeichert, sodass sie jederzeit abrufbar sind. Und das weltweit und werkübergreifend. Neu ist auch, dass Online-Daten mit Offline-Daten verknüpft werden können. „Auf diese Weise realisieren wir eine komplette Traceability, also Nachverfolgbarkeit, der Produkte“, erläutert der Wirtschaftsingenieur.
Die MES-Lösung befindet sich derzeit im globalen Rollout. Aktuell sind fünf Werke mit knapp 400 Maschinen an das System angeschlossen. Der Rollout geht mit Hochdruck voran. Erklärtes Ziel: Dass so schnell wie möglich alle Standorte mit dem System arbeiten und die Vorteile aus der erweiterten Traceability des MES nutzen können. Für Daten, die bereits vor dem MES-Rollout auf den Maschinen erfasst wurden, konnte eine direkte Schnittstelle zur Cloud aufgebaut werden. Damit können auch Traceability und Prozessdaten für Standorte analysiert werden, die noch nicht an das MES angebunden wurden.
Außergewöhnlich hohe Informationsdichte
Verschiedenste Produktionsdaten können so nicht nur direkt im Shopfloor - also auf Werksebene - überwacht werden. Auch übergeordneten Bereichen wie der Instandhaltung oder dem Supply Chain Management stehen die Daten für Analysen und Optimierungen der Prozesse zur Verfügung, wie Roland Kerbleder betont. „Die Prozessabsicherung und Prozessoptimierung ist uns neben der Qualitätsanalyse genauso wichtig wie ein höherer Automatisierungsgrad und die Optimierung unserer Maschinen-Performance.“ Die Maschinen- und Prozessdaten sind bekanntermaßen das Gold des 21. Jahrhunderts, versetzen sie die Prozessspezialist:innen doch in die Lage, Ausfallzeiten zu reduzieren oder die Ausbringleistung zu optimieren.
Die Informationsdichte und Tiefenschärfe der gesammelten Daten ist enorm hoch. Und von aussagekräftigen Daten können alle Fachbereiche im Unternehmen nicht genug bekommen. Roland Kerbleder: „Ganz klar: Je mehr Metadaten und Kontextinformationen wir haben, desto größer ist die Aussagekraft der Daten“.
Geschwindigkeit und Präzision
Besonders stolz sind sie bei thyssenkrupp Steering auf die Geschwindigkeit und Präzision, mit der sie nun agieren und reagieren können. „Bei drohenden Fehlern können wir extrem schnell reagieren, weil wir in Echtzeit auf die Produktionsdaten zugreifen und diese analysieren können“, berichtet Roland Kerbleder. „Und auch bei etwaigen Differenzen zwischen Soll und Ist in der Produktion können wir frühzeitig und präzise identifizieren, welche Teile betroffen sind. Und sollte doch mal ein Qualitätsproblem auftreten, das wir nicht bereits während der Produktion erkennen konnten, können wir diese Fälle genau zurückverfolgen, sodass der Impact minimal bleibt“.
So fortschrittlich die Möglichkeiten der Lenkungsspezialist:innen erscheinen mögen, für Roland Kerbleder sind sie nicht mehr als ein Zwischenschritt: „Unsere Kund:innen sind zurecht extrem anspruchsvoll. Das, was wir heute können, wird schon morgen ein Must-have, eine Basisanforderung sein.“
Next level: Künstliche Intelligenz
Deshalb denken sie schon jetzt einen Schritt weiter. Stichwort: Künstliche Intelligenz (KI). „Mit KI-Modellen können wir perspektivisch auch Algorithmen trainieren, die die Daten aus der Cloud in Echtzeit analysieren und Teile bzw. Produkte klassifizieren, Fehlerbilder oder Abweichungen zum Soll erkennen“. Roland Kerbleder nennt ein konkretes Beispiel: „Das System könnte beispielsweise die Daten jedes einzelnen Teils mit den zuletzt produzierten Teilen vergleichen und prüfen, ob es Anomalien in den Qualitäts- und Prozessdaten gibt. Diese Anomalien könnten dann markiert werden und den Verantwortlichen zur Analyse gemeldet werden. Auf diese Weise können wir eine zusätzliche Sicherheitsebene realisieren.“
Roland Kerbleder bremst zwar die Erwartungen und betont bei aller Begeisterung, dass das noch Zukunftsmusik sei. Doch ganz so weit weg ist diese Zukunft nicht. Zumindest nicht bei thyssenkrupp. Denn schon längst arbeiten sie in der Lenkungssparte unter Hochdruck an entsprechenden Pilotprojekten. Und mit einem vielsagenden Lächeln schiebt Roland Kerbleder hinterher: „Da kann man sicher einige krasse Sachen machen…“