Automatisierung im Karosserierohbau am Standort Mühlacker
10.07.2020 I Hannah Pospisil
Ob als Systempartner für Komponenten in der Automobilindustrie oder für Automatisierungslösungen für elektrische Speicher- und Antriebssysteme – thyssenkrupp hat viel Knowhow und Erfahrung im Anlagenbau. Beim Car Body Manufacturing setzten unsere Kollegen im baden-württembergischen Mühlacker dabei auf bis zu 220 Roboter in einer vollautomatisierten Produktionslinie.
Im März 2017 war der Spartenstich für den Bau des thyssenkrupp Standortes Mühlacker. Seit Juni 2018 werden dort auf einem 60.000 m² umfassenden Areal Karosserieplattformen für Elektrofahrzeuge der Marke Porsche gefertigt. 175 Mitarbeiter betreuen aktuell die vollautomatische Produktion mit rund 220 Industrierobotern. In Zusammenarbeit mit den automatisierten Helfern wird dabei die gesamte Prozesskette der Karosserieproduktion abgebildet – von der Konstruktion der Werkzeuge, über den Aufbau und die Inbetriebnahme der vollautomatisierten Anlagen, bis hin zur Fertigung von Prototypen und Serienkarosserien.
Am thyssenkrupp Standort Mühlacker trifft Karosserierohbau auf top-notch Automation.
Anfangs lag das Produktionsvolumen bei 160 Karossen am Tag. Inzwischen hat sich, durch die Automatisierung, die Stückzahl um ein Vielfaches erhöht. Eine Erfolgsgeschichte: Wir haben bei den Kollegen von System Engineering nachgefragt, was ihre Produktionshallen für die Automobilindustrie von Morgen rüstet.
Mit einer Vielfalt an Technologien zum Erfolg
„Abgesehen von der Lasertechnik findet sich bei uns das gesamte Spektrum der Fügetechnologien für den Karosseriebau“, erzählt uns Gregor Borner, Teilprojektleiter Automatisierung der Division Car Body Technologies. „Hier am Standort werden zum Beispiel Stahlpressteile, Rohrelemente, Strangpressprofile, Aluminiumbleche und Spritzgussteile kombiniert. In der Planung der Anlage mussten wir uns daher vor allem damit auseinandersetzen, wie sich alle diese Ausprägungen wirtschaftlich miteinander verbinden lassen.“
Entsprechend hoch ist die Zahl der benötigten Technologien: Vom Punkt-, Reib- und MigMag-Schweißen über Clinchen und Nieten bis hin zu Fließlochschrauben oder Kleben ist alles vertreten. „Insgesamt fließen in eine Karosse etwa 4.500 Fügeverbindungen ein“, erklärt Marcel Dietz, Leiter der Instandhaltung. „Das sind allein 68 Meter Klebenaht pro Fahrzeug.“ Aufgrund der vielen Aluminiumteile wird etwa doppelt so viel geklebt, wie im klassischen Stahlkarosseriebau, nur so lässt sich die nötige Stabilität gewährleisten. „Besonders mit Blick auf den Leichtbau macht der großflächige Klebeauftrag eine Karosserie besonders steif, und im Crash-Fall sehr sicher“, so Dietz.
Aktuell ist im Karosseriebau ein Trend zu solchen Klebeverbindungen zu beobachten. „Allein traut man dieser Technologie aber noch nicht ganz“, ergänzt Borner. Deswegen kann der Standort Mühlacker auf die Vielfalt der anderen Fügetechnologien noch nicht verzichten.
Höchste Expertise in Steuerungstechnik ermöglicht Karosserierohbau von höchstmöglicher Qualität.
Mehr als nur Karosserierohbau: Das Werk von Morgen
„Die Auslagerung von Prozessen nimmt bei Automobilherstellern zu, während der klassische Karosserierohbau gleichzeitig zurückgeht“, schildert Borner den aktuellen Trend. In Folge dessen werden Zulieferer wie thyssenkrupp System Engineering als verlängerte Werkbank eingespannt, während für die Automobilhersteller ein Teil des Risikos auf die Lieferanten übergeht.
Die Verantwortung der Experten von thyssenkrupp System Engineering in Mühlacker geht daher deutlich über den reinen Karosserierohbau hinaus. „Als Antwort auf die Anforderungen der Automobilhersteller müssen wir unser Portfolio ständig anpassen und das richtige Gleichgewicht finden, um neue Themen einzubinden und unser Knowhow und die Prozesse weiterzuentwickeln“, sagt der Instandhaltungsleiter. „Für uns bietet die eigene Fertigung in Mühlacker eine gute Möglichkeit, die Produktionstechnik und Automatisierung über längere Zeit zu begleiten – und die gewonnenen Erfahrungen auf die Linien zu übertragen, die wir Automobilherstellern und Co. liefern.“
Bewährte Automatisierungstechnik: Wenn Roboter am Werk sind
„Ein wichtiger Punkt: Für unsere Steuerungstechnik gibt es genügend Programmierer“, fügt Dietz hinzu. Der Automatisierungsgrad im Werk in Mühlacker ist daher sehr hoch. Alle Anlagen sind so ausgelegt, dass sie möglichst lange ohne Eingriff von Mitarbeitern laufen können – in der Regel zwischen 30 und 60 Minuten. Knapp 40 moderne S7-Steuerungssysteme sind im Werk miteinanderverkettet. Mit Hilfe dieser Steuerungssysteme kontrollieren und erfassen die Anlagen – ganz im Sinne einer Smart Factory – selbstständig die Qualität der eingehenden Teile, der jeweiligen Prozessschritte und der gefertigten Produkte.
„Mit der SPS-Technik (speicherprogrammierbare Steuerung) lässt sich nachvollziehen, in welchem Fahrzeug ein bestimmtes Teil verbaut wird“, verdeutlicht Dietz den Vorteil für die Qualitätssicherung. „Sogar jeder einzelne Schweißpunkt wird erfasst.“ So bekommt der Mitarbeiter schon unmittelbar nach einem Fertigungsschritt Feedback, welche Stelle gegebenenfalls geprüft oder nachgearbeitet werden muss. Darüber hinaus werden die Halbwerkzeuge auch während der Produktion stichprobenartig geprüft.
Erst einmal fertig zusammengesetzt wird für jede Karosserieplattform ein kompletter Messbericht erstellt. Dafür prüft eine robotergeführte Messanlage rund 160 bis 180 Messpunkte. „Die Toleranzen sind dabei kleiner als ein zehntel Millimeter“, so Borner. „Ganz schön wenig, wenn man bedenkt, dass wir bis dahin mehr als 200 Einzelteile zusammengesetzt haben.“
Die Entwicklungen des automatisierten Karosseriebaus für E-Autos der Marke Porsche am thyssenkrupp Standort Mühlacker hängen eng mit den zukünftigen Entwicklungen im Bereich der Elektromobilität ab.
Starke Roboter für schwere Lasten
Bei den Robotern haben sich die Experten in Mühlacker durchgängig für Modelle von Kuka entschieden. Die Ausnahme bilden neun Schwerlast-ABB Roboter, die die Karosserieplattformen von einer Station zur nächsten bringen und über die Schutzzäune in die jeweiligen Anlagenbereiche heben. Sie transportieren Lasten bis 550 kg auf speziell angefertigten Linearachsen des Herstellers FEE.
„Weil sich die Stückzahlen in unserer Fertigung erhöht haben, ist die Transportkapazität unserer Schwerlast-Roboter mittlerweile ziemlich ausgereizt“, erklärt Dietz. „Um den reduzierten Taktzeiten Rechnung zu tragen, setzen wir heute daher teilweise zwei Roboter pro Linearachse ein. „Fast jeder Zentimeter Produktionsfläche wird genutzt und dennoch sind unsere Roboter erstaunlich mobil“, sagt Dietz.
Die Zukunft der Anlagen, hängt zum Teil von der Akzeptanz der produzierten Elektrofahrzeuge ab. „Wir haben hier im Werk sehr zukunftsfähige Anlagen und sind von daher auch gut für Nachfolgeprojekte aufgestellt“, versichert Dietz.
Quelle: „Kernkompetenz fügen in allen Formen“