Produkte und Lösungen 12.09.2005 11:03
Advanced Closures: Fußgängerschutz mit Stahl
Die Division Auto der ThyssenKrupp Stahl AG hat ein Konzept für Motorhauben aus Stahl entwickelt, mit dem Automobilhersteller die ab 2010 geltenden strengen Grenzwerte der Richtlinie der Europäischen Kommission zum Fußgängerschutz erfüllen können. Die von ThyssenKrupp Stahl entwickelte Lösung beruht auf einer völlig neuen Geometrie für die Innenbleche der Motorhauben. Sie kann in vielen Fällen als rein passive Fußgängerschutz-Lösung eingesetzt werden. Das bedeutet, dass auf aufwändige Vorrichtungen, die die Motorhaube im Moment des Unfalls kurz anheben, um den Aufprall abzumildern, verzichtet werden kann.
Bei einer Kollision besonders gefährdet sind Fußgänger im Bereich der Beine und am Kopf. Die von der Europäischen Kommission geforderten Maßnahmen beziehen sich denn auch auf die Frontpartie der Fahrzeuge und auf die Motorhaube. Die schwersten Verletzungen entstehen, wenn der Kopf des Unfallopfers auf die Motorhaube schlägt. Meistens dringt er dabei so tief ein, dass er auf den 20 bis 30 Millimeter darunter liegenden Motorblock trifft. Die Automobilhersteller sehen sich also gezwungen, die Gestaltung der vorderen Wagenpartie ganz neu zu überdenken: Außen liegende Bauteile müssen so geformt sein, dass beim Aufschlag kein Belastungsspitzen an harten Stellen entstehen. Es gilt, Konstruktionen zu finden, die Bewegungsenergie effektiv und mit möglichst niedrigem Bedarf an Bauraum abbauen. Falls der notwendige Bauraum zwischen Motorhaube und Motorblock nicht geschaffen werden kann, müssen sensorgesteuerte, aktive Systeme die Haube kurz vor dem Aufschlag anheben.
Ob eine Motorhaube die Fußgängerschutz-Richtlinie der Europäischen Kommission erfüllt, bestimmt der so genannte HIC-Wert. HIC bedeutet Head Injury Citeria. Physikalisch gesehen beschreibt der Wert die Beschleunigung eines Körpers über die Zeit. Konkret geht es darum, wie schnell und wie stark der Kopf eines Fußgängers abgebremst wird, wenn er auf eine Motorhaube trifft. Bereits ab Oktober 2005 dürfen zwei Drittel der Fläche einer Motorhaube bei neu auf den Markt kommenden Automobilen einen HIC-Wert von höchstens 1.000 aufweisen, beim letzten Drittel gilt ein HIC-Wert von 2.000 als Obergrenze. Getestet wird dies mit einem genormten Prüfkörper, einem Impaktor, der mit einer Geschwindigkeit von 35 Kilometer in der Stunde gegen die Motorhaube geschleudert wird. Sein Gewicht beträgt 3,5 Kilogramm. Bei der diesjährigen IAA wird man sehen können, wie die Automobilhersteller diese Herausforderung bewältigt haben.
Ab 2010 beginnt Phase 2 der Richtlinie mit nochmals verschärften Bedingungen. Ursprünglich vorgesehen war die Verwendung von zwei verschiedenen Impaktor-Modellen, eine erhöhte Aufprallgeschwindigkeit von 40 Stundenkilometern und maximaler HIC-Wert von 1.000 für die gesamte Fläche der Motorhaube. Es gibt derzeit mehrere Änderungsvorschläge, so dass die endgültige Formulierung der Richtlinie noch nicht feststeht. Erwartet wird, dass eine Prüfung mit 3,5 und 4,5 Kilogramm schweren Impaktoren, die jeweils einen Kinder- und einen Erwachsenenkopf repräsentieren, vorgeschrieben wird. Aufprallgeschwindigkeit und HIC-Grenzwerte werden möglicherweise mit japanischen Vorschriften abgeglichen. Schon jetzt ist klar, dass die Messungen mit zwei unterschiedlich schweren Impaktoren die konstruktive Auslegung der Motorhauben weiter erschweren werden.
Um ihre Automobilkunden bei der Suche nach neuen Lösungen für den Fußgängerschutz zu unterstützen, hat die Division Auto von ThyssenKrupp Stahl eigene Entwicklungsarbeiten für entsprechend gestaltete Motorhauben durchgeführt. Basis für die Untersuchungen war eine repräsentative Serienklappe aus einem derzeit in großen Stückzahlen gefertigten Automobil mit guten Ergebnissen beim Crashtest nach Euro-NCAP. Ziel war es, die Fußgängerschutz-Eigenschaften dieses Bauteils nachhaltig zu verbessern, Gewicht zu sparen und die übrigen Werte der Referenzstruktur wie Steifigkeit oder Beulsteifigkeit genau einzuhalten.
Als Werkstoff für die Außenhaut setzten die Entwickler der Division Auto den Dualphasenstahl DP 30/50 in kaltgewalzter Ausführung mit einer Dicke von 0,60 Millimeter, einer Festigkeit von 500 Megapascal und einer Oberfläche in Außenhautqualität ein. Für das Innenblech kam ein besonders gut umformbarer IF- (Interstitial-Free) Stahl zum Einsatz. Erstklassigen Fußgängerschutz bietet das Innenblech durch seine spezielle Geometrie. Bei der Entwicklung hat das Projektteam der Division Auto zehn verschiedene Strebenbilder für Innenbleche entwickelt und deren Fußgängerschutz-Eignung berechnet. Verwendet wurden zertifizierte Impaktormodelle und die Simulationssoftware LS-Dyna. Ein Clusterrechner mit zehn parallel arbeitenden Prozessoren bot die nötige Rechnerleistung, um zahlreiche Varianten und Optimierungen durchzuspielen.
Durchgesetzt hat sich dabei eine Innenblech-Geometrie mit gleichmäßig verteilten achteckigen Aussparungen. Anzahl, Verteilung, Größe und Form dieser Aussparungen sind so gewählt, dass die Motorhaube einerseits eine hohe globale Steifigkeit und zugleich ein gutes lokales Energieaufnahmevermögen besitzt. Bei Untersuchungen mit 40 Stundenkilometer Aufprallgeschwindigkeit zeigt die Struktur in der Flächenmitte für den Erwachsenen-Impaktor einen HIC-Wert von 883. Tests mit dem kleineren Prüfkörper zeigen in der Flächenmitte einen HIC-Wert von 669. Auch in den besonders schwierigen, weil weniger nachgiebigen Bereichen an den seitlichen Klappenfugen und am Scharnier wurden für beide Prüfkörper HIC-Werte von knapp unter 1.000 erzielt. Bei einer Aufschlaggeschwindigkeit von 35 Kilometer in der Stunde liegen die Belastungswerte noch einmal deutlich niedriger. Die globale Steifigkeit der neuen Konstruktion liegt etwas höher als bei der Referenz-Motorhaube. Diese Reserven lassen sich in Gewichtsvorteile umsetzen.
ThyssenKrupp Stahl präsentiert sich zur IAA in Halle 4.1, Stand C50.